Seit ich denken kann, gehörte ich weder zu den normalsehenden, für sie sah ich zu wenig, noch zu den blinden Menschen, dafür
sah ich zu gut. Das ist bis heute so geblieben, denn mit einer
Sehbehinderung zu leben ist wirklich nicht einfach.
Sehende enken: Oje, die Arme sieht so schlecht, also ich würde das
nicht ertragen.
Blinde denken: Wenn ich so gut sehen könnte,
ich würde die Welt erobern.
Das Hin- und Hergerissen sein
begleitete mich durch den Kindergarten und ich quälte mich auch
durch 9 Jahre Schule für Normalsehende, denn die Blindenschule
hatte mich im Volksschulalter wegen meines zu großen Sehrestes
abgelehnt. Bei der Berufswahl stellten sich zwangsläufig
die Weichen. In Berufen für Sehende hatte ich keine Chance
unterzukommen. So kam ich mit 15 Jahren, - also 1980 - ins
Bundes-Blindenerziehungsinstitut
nach Wien. Dort erfuhr ich zum Teil großen Neid wegen meines
noch vorhandenen Sehvermögens, das ich gelernt hatte so gut
wie möglich einzusetzen. Dadurch war ich nicht gerade beliebt,
bei den Lehrern und den Schülern.
Heute ist die Situation ein bisschen besser, doch ich werde immer noch als "Grenzfall" bezeichnet. Um zu erklären ,wie es sich mit der Sehbehinderung lebt, erzähle ich ein paar Beispiele.
Ich ging mit meinem langjährigen Partner auf eine Eröffnungsfeier
der Firma seines Freundes. Ich kenne ihn recht gut, mag ihn und
er mich. Dort war ein Buffett aufgebaut. Es gab herrlich belegte
Brötchen und verschiedene Getränke standen samt Gläsern zur
freien Entnahme. Mein Partner sprach mit einem Bekannten, den er
dort traf, da kam sein Freund auf mich zu und meinte
einladend:
"Nimm Dir Brötchen, bedien Dich bitte, ich weiß doch dass
Du die gern magst"
Ich sah ihn etwas verlegen an, denn genau darin lag das Problem, nämlich
am selbst mir was nehmen. Viele meiner Freunde und Bekannten wissen,
dass ich sehbehindert bin, doch weil man es mir nicht unbedingt
ansieht, vergessen sie es oft. Das freut mich ja im Grunde, denn
ich sehe augenmäßig nicht auffällig aus, bringt mich aber immer wieder in für mich
unangenehme, teilweise peinliche Situationen. So entgegnete ich locker lächelnd, weil
ich im Laufe der Jahre gemerkt habe, dass ich damit am Besten
mit mir und anderen umgehen kann:
"Wenn Du mir sagst womit sie belegt sind und mir welche
davon bitte/danke auf den Teller legst, bin ich nicht mehr
zu bremsen"
Da fiel es ihm wieder ein und er lächelte entschuldigend und
ungezwungen.
Sehbehinderte Menschen sind langsamer und vorsichtiger - kommt natürlich auf den Sehrest an - denn sie müssen den teilweise fehlenden
Sehsinn mit den anderen verfügbaren Sinnen so gut wie möglich zu ersetzen versuchen.
Mitunter ist das anstrengend und konzentrationsaufwendig.
Immer wieder komme ich in Situationen, in denen die Menschen nicht wissen, wie sie mit mir umgehen sollen, auch wenn sie von meiner Sehbehinderung wissen. Bei mir Nahestehenden kann ich mit Humor andeuten, dass ich in manchen Situationen Hilfe brauche. Schwieriger wird das Kundtun bei Fremden
Ich wohne in unserer Straß seit 1992. Wenn mir Nachbarn begegnen, grüßen sie manchmal oder auch nicht. Ich erkenne sie nur, wenn sie grüßen oder mich mit Namen ansprechen. Viel telefonieren mit dem Handy und sagen "Hallo" zum Gesprächspartner. Wenn ich mitunter zurückgrüße, kann das peinlich sein. Deshalb versuche ich wachsam zu sein und darauf zu achten
Es auch schwer für mich zu erkennen, wann lässt mich ein Autofahrer über die Straße? Manche winken, um so dem Fußgänger zu signalisieren dass er gehen kann. Für mich spiegelt die Windschutzscheibe, außerdem kann ich nicht mal erkennen, wer oder wieviele im Auto sitzen. Natürlich sehe ich dann auch Bewegungen im Fahrzeug nicht. Für mich als Sehbehinderte wäre ideal, blendet der Autofahrer kurz einmal mit der Lichthupe auf oder bleibt eindeutig stehen. Wenn mich Freunde abholen, machen sie meist die Beifahrertür auf grüßen raus, oder kurbeln die Seitenscheibe runter und reden mich an. Auf Huptöne reagiere ich nicht, denn es wird in der Stadt so viel gehupt. Auch auf Zurufe gebe ich nicht acht, es sei denn Jemand nennt meinen Namen.
Die Liste der Beispiele könnte endlos weitergehen. Manchmal
ist das Ereignis witzig, befangen oder peinlich.
Ich werde auch zukünftig versuchen, offen, spontan und
herzlich auf die Menschen zuzugehen. Hoffen kann ich, dass
auch die locker und ungezwungen mit mir umgehen. Uns fehlt nur teilweise der
Sehsinn, sonst aber nichts.
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Letztes Update 11. März 2006
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